Barthold Georg Niebuhr

Johann Heinrich Voß

Eigenhänd. Brief m. U.

Ort: Bonn

Datum: 20. Februar 1826

Artikelnummer: KKS202400135

  • Artikelnummer: KKS202400135
  • Kategorie: Briefe

Kontext

Brief

Inhalt

Niebuhr gratuliert J. H. Voß zum Geburtstag und bedauert, eine Reise nach Heidelberg mit der Familie nicht antreten zu können, da er Geld verloren hat. Er berichtet von der neuerlichen Umstrukturierung seines ersten Bandes (römischer Geschichte) und von der Nützlichkeit der dazu gehaltenen Vorlesungen. Er befragt Voß über den Fortgang seiner Übersetzung eines Virgilkommentars und die mögliche Publikation derselben in Amerika, erwähnt hier auch die englische Version seiner Geschichte, die dort wohl guten Absatz finden wird. Es folgen Lästereien über die für unfähig befundenen Kollegen A. W. Schlegel, K. D. Hüllman, F. Delbrück und F. G. Welcker und deren Umgang mit (Karl Friedrich) Heinrich. Lobenswerte Erwähnung des bei ihm promovierenden H. W. Grauert und des sprachbegeisterten, talentierten Sohns Marcus. Abfällige Bemerkungen über (verm. Gottfried) Hermann. Am Ende mit der Bitte um spätere Übersendung des bei Boie bestellten Spargels, Grüße an Mutter Boie und F. C. Schlosser.

Maße: Das Blatt misst ca. 25 x 21 cm.

Zustand

Die Schrift in schwarzer Tinte sehr gut lesbar und erhalten. Der Bogen mehrfach gefalzt, unregelmäßig gebräunt, in den Rändern stärker, fingerknittrig und stockfleckig, in den Rändern teils berissen, der rechte Blattrand mit größeren Fehlstellen, weitere winzige Löchlein in der Briefmitte an den Falzkanten, die Kanten und Ecken knickfaltig und bestoßen, mit Siegelspuren. Dem Alter entsprechend gut erhalten.

Provenienz

Aus dem Berliner Kunsthandel erworben.

Herrn Hofrath Voß zu Heidelberg frey Seite 1: Bonn, den 20ten Februar 1826 Da wir heute in unserem Hause einen Geburtstag haben, den unserer kleinen Cornelia, so sind wir um so gesicherter den unsers Vaters Voß nicht zu vergessen: sonst kann man auch die bedeutendsten Tage sich entwischen lassen ohne ihrer grade wann sie eintreten zu gedenken. Ist es mir doch noch in diesem Jahr und, und vor drey Tagen, so ergangen, daß ich den Tag vorher und nachher an den 17ten Februar 1500 gedacht habe, dessen in Dithmarschen, wenn es auch nur Meloikos ist, nicht vergessen darf, am Tage selbst des Datums nicht eingedenk war. Da ich aber nun schon früh heute morgen an Ihr Fest gedacht habe, lieber Vater Voß, so sollen Sie auch unsere Glückwünsche dazu vernehmen, welche die zuversichtliche Hoffnung enthalten daß Sie sich mit unver- gänglicher Jugend von den dankbaren, und nicht so ganz verdrängten, olympischen Göttern gesegnet noch manches Jahr, als weiser und froher Nestor, des Lebens freuen werden, bis Sie in das ely- sische Feld und an die Gränzen der Erde entrückt werden. Es war meine Absicht, und ich rechnete auf die Ausführung, Sie mit Weib und Kind in diesem Nach- sommer zu besuchen. Wir wollten mit dem Dampfboot den Rhein hinaufgehen, und dann ein paar Wagen wohl von Mannheime nach Ihrem schönen Heidelberg fahren. Aber meine Frau bedarf leider der Wiederholung der Brunnencur, die ihr für eine zeitlang , aber nicht gehörig nachhaltig wohl gethan hat: auch habe ich einen fatalen Geldverlust bey den Bankrotten erlitten, indem ein Haus welches mir Gelder zum täglichen Ausgeben übermachen sollte, und einen eigenen Wechsel schickte, fiel ehe der acceptiert war, so daß ich es mir schon für dieses Jahr versagen muß. Sonst wäre es mir um so lieber Bewegung, Luftveränderung und Gemüthserfrischung zu verbinden, da ich viel arbeite, um die neue Ausgabe der ersten Bände anzuordnen: deren Druck wohl um ein paar Monate beginnen kann. Der erste Band wird ganz und gar umgearbeitet: wird weniger jugendlich aussehen, vielleicht dürrer; aber am Inhalt sehr gewinnen, und ich d… unerschütterlich festgestellt werden, und sehr bereichert. Sehr nüzlich dazu sind die Vorlesungen über römische Alterthümer gewesen, die ich diesen Winter gehalten: mir wird Vieles in wäh- renden Reden klar, was es vor dem Schreibtisch nie werden wollte. Nur ist die Gefahr dabey daß durch die nachgeschriebenen Hefte Plagiat ausgeübt werden könnte. Ich danke Gottvon Herzen, daß er es nicht hat erleben lassen dem Werke diese Vollendung zu geben, womit es würdig fortleben kann; daß ich manchen Irrthum – nichts wesentliches – abthun kann; den Seite 2: die Splitterrichter nicht bemerkten: so oft, wo das Ziel richtig gesehen war, nun auch die ganze Straße entdeckt; viel geahndetes ganz ausgeführt. Auch die seit 1811 herausgegebenen entdeckten Schriften haben viel gewährt, wovon Herausgeber und Leser nichts geahndet. Die Geschichte der An- fänge und der Ausbildung und Umwandlung der römischen Verfassung wird ganz vollständig, so wie ich auf ein Haar über die Zahlfabeleyen der Pontifices Rechenschaft geben kann. Wie steht es mit der Übersezung Ihres virgilischen Commentars in Latein? ich wünsche sehr daß sie zu Stande komme für Amerika – Neuengland – : wo man würklich anfängt, da die Wälder so ziem- lich ausgerodet sind, Philologie zu treiben. Die englische Übersezung meiner Geschichte kann ganz vorzüglich dort auf Absaz rechnen. Schlegel und seine Genossen haben Heinrich doch lebend aus den Clauen lassen müssen; aber der Arme ist doch sehr blutig und gerrissen herausgekommen. Jene sind wüthend: um sie zu trösten haben die Cumpanen im Ministerium eine Commission unter Schlegels Vorsiz angeordnet welche über die Einrichtung des philologischen Seminariums einen Plan machen soll: da sind nun unter dem Vorsiz des allgemein verachteten, aus Eitelkeit verrückt und dumm gewordenen Schlegels drey Weise: Hüllmann, Welcker, Delbrück: einer läppischer, lächerlicher und unphilologischer als der andere. Heinrich war ohne Rettung verloren wenn ich nicht mit solcher Heftigkeit dem Minister drohte an den König zu gehen, daß man bange ward. Nun ist es ein großes Unglück daß Heinrich nicht dahin zu bringen ist weniger Blässur zu geben, und sich weniger verhaßt zu machen. Unter den jungen Männern haben wir hier vortreffliche: ich wünsche eine Gelegenheit zu finden um Ihnen die Inauguraldissertation des jungen Grauert, des Lehrers meines Marcus, zu senden und derselben die Ihren beyzulegen, von denen ein Theil von mir ist. Diese jungen Männer sind in jeder Hinsicht vortrefflich, so unschuldige Catholiken wie man es nicht ahnden sollte: voll Freudigkeit und Eifer für die Wissenschaft. Mein Marcus gedeiht bey seiner philologischen Erziehung an Leib und Seele: spielhaft wie ein Kind, und ohne einen Schatten von Eitelkeit. Er versteht nicht-verwickelte lateinische Prosa vollkommen und ließt sie wie deutsch oder italienisch: - verwickelte entwirrt er sich oft zum Erstaunen. Als Be- lohnung betrachtet er es wenn ich mit ihm in der Aeneide (?) lese, an seiner Liebe für die wird es recht klar wie man so begeistert für sie seyn konnte (ehe Homer ans Licht gekommen war. An sei- nem Geburtstage ist ihm versprochen soll er griechisch anfangen. Mai druckt die Excerpte aus Diodor, und schickt sich endlich an die aus Polybius zum Druck zu bereiten. Wie viel haben wir doch in diesen Tagen an das Licht kommen sehen! Seite 3: Daß Hermann gegen seinen Versuch die Tyrannis in der Philologie zu gewinnen, einen häftigen Gegner gefunden hat, muß Sie freuen. Eigentlich steht er doch mit Schande bedeckt da, als ein durch und durch unwahrer unredlicher Mensch, dessen Dünkel noch überdies prostituirt ist. Diese Faction will nur ihre Grammatik und ihre Metrik gelten lassen; und haßt Geschichte und Sachverstand bitterlich: Sie, wie mich. Meine Frau bittet Mutter Voß die Spargel nicht zu früh senden zu lassen, da es nicht möglich ist den Dünger für die Beeten früh zu bekommen: also vielmehr so spät wie es angeht. Sie grüßt Sie beyde mit mir herzlich, und gar zu gern wäre sie auch gekommen Sie zu be- suchen, und einige Wochen in Heidelberg zu verweilen. Wir bitten Sie Mutter Boie zu grüßen, und ich grüße Schlosser. Ihr alter Niebuhr

Barthold Georg Niebuhr (geboren 1776 in Kopenhagen, gestorben 1831 in Bonn) war ein deutscher Althistoriker und Philologe. Der sprachbegabte Niebuhr studierte an der Universität Kiel, brach das Studium ab und arbeitete zunächst im dänischen Staatsdienst. 1806 ging er nach Berlin, wo er bis 1810 im preußischen Staatsdienst arbeitete, ab 1810 gab er Geschichtsvorlesungen an der neu gegründeteten Universität Berlin. Von 1816 bis 1823 fungierte er als preußischer Gesandter beim Heiligen Stuhl. Im Jahr 1825 wurde er als Professor an die 1818 gegründete Universität Bonn berufen. Seit 1809 war er korrespondierendes Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften, 1822 wurde er in die American Academy of Art and Sciences gewählt, 1827 folgte die Ehrenmitgliedschaft an der Russischen Akademie der Wissenschaften St. Petersburg.

Johann Heinrich Voß (geboren 1751 in Sommersdorf, gestorben 1826 in Heidelberg) war ein deutscher Dichter, Philologe, Übersetzer und Hochschullehrer. Da Voß kein Geld für ein Studium hatte, sandte er 1771 Gedichte an den Göttinger Musenalmanach und lernte so dessen Begründer und Herausgeber Heinrich Christian Boie kennen. Auf Boies Empfehlung begann Voß 1772 ein Theologie- Gräzistik- und Philologiestudium an der Universität in Göttingen. Er war Mitbegründer des ersten deutschen Dichterbundes, dem Göttinger Hainbund. Von 1774 bis 1786 war er Mitglied und Meister der Hamburger Freimaurerloge. 1774 übernahm Voß von Boie die alleinige Redaktion des Museumsalmanachs, den er bis 1800 herausgab. 1777 erfolgte die Heirat mit Ernestine Boie. 1778 arbeitete Voß als Rektor der Lateinschule Otterndorf, ab 1782 als Rektor des Gymnasiums Eutin. Voß reiste in dieser Zeit viel und knüpfte Kontakte zu u.a. Goethe, Gleim, Wieland, und Herder. Bekannte waren außerdem Claudius, Klopstock, W. von Humboldt und F. H. Jacobi. Von 1802 bis 1805 lebte Voß als Privatier in Jena, danach folgte er dem Ruf als Professor an die Universität Heidelberg. 1808 wurde er auswärtiges Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1814 erfolgte die Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften.

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