Barthold Georg Niebuhr

Johann Heinrich Voß

Eigenhänd. Brief m. U.

Ort: Bonn

Datum: Um 1825

Artikelnummer: KKS202400136

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  • Kategorie: Briefe

Kontext

Brief

Inhalt

Niebuhr erwartet ein weiteres Kind und kann daher nicht nach Paris. Er freut sich, J. H. Voß wiedergesehen zu haben und macht dessen große Bedeutung für Kindheit und Lebensweg deutlich. Auch zieht er es vor, in Bonn zu bleiben und nicht nach Berlin zu gehen, der Freund C. A. Brandis wird löblich erwähnt. Ferner schwelgt Niebuhr in Erinnerungen an Rom und ist erbaut durch die an der Universität ansässigen, ausgezeichneten Philologen A. F. Naeke und K. F. Heinrich, dem eine schwierige Persönlichkeit attestiert wird. Niebuhr hat eine zufriedenstellende Fortsetzung seines Geschichtswerkes unternommen, berichtet über vormalige, blockierende Schwierigkeiten, den neuerlichen Auftrieb durch die Anfeindungen W. F. Steinackers und die erhellenden Forschungen des väterlichen Freundes.

Maße: Das Blatt misst ca. 25 x 21 cm.

Zustand

Die Schrift in schwarzer Tinte sehr gut erhalten und lesbar, durchdrückend nach verso. Der dünne Bogen mehrfach gefalzt, unregelmäßig gebräunt, fingerknittrig und stockfleckig, die Ecken und Kanten bestoßen, knickfaltig und umlaufend mit Einrissen, v.a. in den Falzkanten, mittig im Blatt hier auch kleine Fehlstellen, größere Ausrisse mittig im rechten und linken Blattrand, durch Entfernung des Siegels, verso hier Reste roten Siegellacks mit zweifacher Fixierung durch weißen Klebestreifen, verso Bunt- und Bleistiftannotationen sowie Bonner Poststempel. Sonst in Ordnung.

Provenienz

Aus dem Berliner Kunsthandel erworben.

An Herrn Hofrath Voß zu Heidelberg frey Ich habe meine Frau gebeten mir diesen Raum für einige Worte an Sie, mein väterlicher Freund, zu lassen. Es hat mir eine Freude gegeben wie ich nie empfunden Sie so ungealtert wiederzusehen; die Zeit gegen Ihre Person eben so ohnmächtig wie sie es gegen Ihre Werke seyn wird. So lebten griechische Greise für ihr Volk und die Nachwelt thätig zu höheren Jahren als unsere Verkommene in zweyter Kindheit; und Voß wird, wie Theo- phrast nach dem neunzigsten Jahre jugendlich denken und schreiben. So lange Sie so leben werde ich mich auch nicht alt fühlen, da mit der Erinnerung an Sie auch die an meine Kindheit verbunden ist: und es ist ein Gefühl von noch nicht ganz erstorbener Jugend daß ich mich , wie in den Jünglingsjahren, zu Ihnen als einem Leitenden in unserer Wissenschaft hinaufzusehen, freue. Wenn Sie vor der Erde genommen würden, so stände ich nach dem Scheitel des Berges hie von dem die Lebenden herabsteigen, schon fast als der letzte: die jüngeren sind mir fast alle fremd geblieben. Wir haben uns entschlossen den Winter hier zu bleiben: für die Folge mag Gott rathen. Eine neue, sehr ungelegen eingetretene, Schwangerschaft meiner Frau, die ihre Niederkunft Ende März erwartet, nöthigte uns den Plan Paris zu besuchen, aufzugeben: hätten wir auch einige Monate gegen den Sommer hie bleiben können, was war zu machen wann, wie der lezte Versuch uns zu sehr ahnden läßt, die Mutter nicht wird selbst stillen können? Berlin wäre, bey unentschiedenen künftigen Verhältnissen, unerträglich gewesen. Hier können wir auf unsere vier Wände eingeschränkt leben, und leben so. An Brandis habe ich einen treu anhänglichen jun- gen Freund ; - sonst lebe ich hier viel einsamer auch für den Geist als selbst zu Rom, wo immer … Zeit zu Zeit interessante fremde kamen: - und die Einheimischen in diesen Gegenden sind wahrlich… Römern ung…reit…vorzuziehen, darff sie durch stupide Superstition übertreffen. Es sind hier zwey ausge- zeichnete Philologen, freylich auf Grammatik beschränkt, aber darin ausgezeichnet: Heinrich und N(aeke?) beyde dürften meine historischen Arbeiten für etwas nicht nur untergeordnetes sondern sehr entbehrliches… dabey ist Heinrichs Persönlichkeit seltsam, verschroben und ganz unvertraulich. Ich habe die Fortsezung meiner Geschichte wieder unternommen; wie Sie, wenn Sie eine kleine Schrift er- halten haben die ich Ihnen durch den Buchhändler geschickt, erklärt gelesen haben werden. Diese Fortsezung stockte ursprünglich daran daß ich mit einem sehr wesentlichen Punkt, zwar wohl im allgemeinen zurecht kam aber ihn nicht im einzelnen entwickeln konnte, und eben so wenig die Sache chronologisch an ihren Ort bringen konnte. Dazu hat mir der Ärger über die Steinackersche Anfeindung geholfen: womit das liebe Vaterland den Zurückkehrenden begrüßt hat. Jetzt kann ich sagen daß ich die Geschichte der römischen Verfassung vom Anbeginn her bis zur Kaiserzeit so ausgemacht und vollständig habe wie nur die irgend eines neueren Staats: und das wird feststehen und das Chaos verdrängen, wie Ihre griechische Erdkunde und Mythologie, gegen die sich nur Lüge und wesentliche Verkehrtheit verstocken können. An diesen Ihren Forschungen ist mir das Licht aufgegangen mit dem ich meine Pfade verfolgt habe: ohne solche Muster hätte ich es wohl nicht können; und das rühme ich bey jeder Gelegenheit. Lassen Sie sich erbitten der Philologie von ganz Europa und der Nachwelt den Codex der Erkunde und My- thologie zu geben: ich bitte jetzt darum auch für meinen Knaben, der doch auch Philologe werden wird. Grüßen Sie Ihre ehrwürdige Frau und Mutter Boie herzlichst. Ihr Niebuhr

Barthold Georg Niebuhr (geboren 1776 in Kopenhagen, gestorben 1831 in Bonn) war ein deutscher Althistoriker und Philologe. Der sprachbegabte Niebuhr studierte an der Universität Kiel, brach das Studium ab und arbeitete zunächst im dänischen Staatsdienst. 1806 ging er nach Berlin, wo er bis 1810 im preußischen Staatsdienst arbeitete, ab 1810 gab er Geschichtsvorlesungen an der neu gegründeteten Universität Berlin. Von 1816 bis 1823 fungierte er als preußischer Gesandter beim Heiligen Stuhl. Im Jahr 1825 wurde er als Professor an die 1818 gegründete Universität Bonn berufen. Seit 1809 war er korrespondierendes Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften, 1822 wurde er in die American Academy of Art and Sciences gewählt, 1827 folgte die Ehrenmitgliedschaft an der Russischen Akademie der Wissenschaften St. Petersburg.

Johann Heinrich Voß (geboren 1751 in Sommersdorf, gestorben 1826 in Heidelberg) war ein deutscher Dichter, Philologe, Übersetzer und Hochschullehrer. Da Voß kein Geld für ein Studium hatte, sandte er 1771 Gedichte an den Göttinger Musenalmanach und lernte so dessen Begründer und Herausgeber Heinrich Christian Boie kennen. Auf Boies Empfehlung begann Voß 1772 ein Theologie- Gräzistik- und Philologiestudium an der Universität in Göttingen. Er war Mitbegründer des ersten deutschen Dichterbundes, dem Göttinger Hainbund. Von 1774 bis 1786 war er Mitglied und Meister der Hamburger Freimaurerloge. 1774 übernahm Voß von Boie die alleinige Redaktion des Museumsalmanachs, den er bis 1800 herausgab. 1777 erfolgte die Heirat mit Ernestine Boie. 1778 arbeitete Voß als Rektor der Lateinschule Otterndorf, ab 1782 als Rektor des Gymnasiums Eutin. Voß reiste in dieser Zeit viel und knüpfte Kontakte zu u.a. Goethe, Gleim, Wieland, und Herder. Bekannte waren außerdem Claudius, Klopstock, W. von Humboldt und F. H. Jacobi. Von 1802 bis 1805 lebte Voß als Privatier in Jena, danach folgte er dem Ruf als Professor an die Universität Heidelberg. 1808 wurde er auswärtiges Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1814 erfolgte die Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften.

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