Brief - Erika Mann an Hansi (Johanna) Meixner - 19.8.1924
Verehrte Damen und Herren,
liebe Freunde unseres Kunst- und Grafikhandels,
ein etwas anderes "Bild" erreicht Sie in diesem Monat. Es sind zwei Autographen von Erika Julia Hedwig Mann (1905-1969), der ältesten Tochter des bekannten Schriftstellers Thomas Mann und seiner Frau Katja, die vor fast 100 Jahren verfasst worden sind.
Die talentierte junge Frau schreibt kurz nach (mit schlechten Noten) bestandenem Abitur am 19. August an ihre Freundin Johanna 'Hansi' Meixner. Sie berichtet der Schulkameradin von ihrem Sommer an der Ostsee: Auf der "kleinnetten Insel Hiddensee", wo sie auch mit Gerhard Hauptmann zusammengetroffen war, "ist es so schön, - das Meer liebe ich unendlich, - und werde wohl noch drin ertrinken."
Begeistert erzählt Erika Mann weiter, dass sie ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin, "dem Sündenbabel", erhalten habe und nur für wenige Tage am Ende desselben Monats nach München zurückkehren werde. Zum Schluss ermuntert sie die Freundin, nicht dem Abitur nachzutrauern ("Tu es nicht! Man hat auch nichts davon als widrige Träume des Nachts.") und sie in München zu besuchen.
Ein halbes Jahr später, am 20. Februar, berichtet die 20-jährige Erika ihrer Schulfreundin Hansi, zu der sie offenbar lange keinen Kontakt mehr gehabt hat, von ihren ersten Schritten bei Max Reinhardt in Berlin: "Jeden Abend spiele ich Theater". Die Stücke "Sechs Personen suchen einen Autor" (L. Pirandello), "Frühlingserwachen" (F. Wedekind), "Jedermann“ (H. von Hoffmansthal) und die "Heilige Johanna“ (G.B. Shaw) stehen auf ihrem Programm. Dennoch möchte sie "zum Herbst fort an eine kleinere Bühne, wo ich ausschließlich große Rollen zu spielen bekomme".
An die Schulzeit (vermutlich am Münchner Luisengymnasium), in der es nicht viel Gutes gab, erinnere sie sich ohne Groll: "Man vergißt [dankbar wie man ist] ja meist das widerliche und behält das Nette".
In diesem Sinne bleiben auch Sie positiv gestimmt und seien Sie herzlich gegrüßt
Im Namen des Teams
Ihr Tobias Wachter
