Bild des Monats März 2023

01.03.2023
Bild des Monats März 2023 -

Europa auf dem Stier
Arthur Michaelis, 1922, Öl auf Leinwand, 124 x 173cm / 133 x 183cm
(aus Berliner Privatbesitz)


Verehrte Damen und Herren,
liebe Freunde unseres Kunst- und Grafikhandels,
 
der Raub der Europa ist in der Bildenden Kunst ein seit jeher beliebtes Motiv. Die ältesten Darstellungen finden sich auf griechischen Vasen aus dem 7. Jahrhundert vor Christus. ausführlich erzählt der römische Dichter Ovid in seinen Metamorphosen, wie Jupiter sich in einen Stier verwandelt, um sich, unbemerkt von seiner eifersüchtigen Göttergattin Hera, der phönizischen Königstochter Europa, für die er in Liebe entbrannt ist, nähern zu können. Als zahmer weißer Stier mit kleinen, feinen Hörnern gewinnt er im Spiel Europas Vertrauen. Als sie sich schließlich auf seinen Rücken setzt, ergreift Zeus die Gelegenheit und entführt die schöne Königstochter. Er schwimmt mit ihr auf das offene Meer hinaus und bringt sie auf die Insel Kreta. Dort gebärt Europa zunächst dem Göttervater drei Söhne bevor sie durch die Hochzeit mit König Asterios Herrscherin von Kreta wird.
 
Der Leipziger Maler Arthur Michaelis (1864 –1946) verarbeitete in seinem künstlerischen Werk häufig mythologische und christliche Bildthemen und setzte sie in seiner eigenen expressionistisch-symbolistischen Stilsprache um. Gern fügte er in die Szenen zusätzliche, ikonographisch nicht unbedingt übliche Figuren und Symbolik ein. Das gilt auch für unser imposantes Gemälde, das Michaelis im Jahr 1922 gemalt hat. Im Hintergrund rechts sitzt eine in Trauer und Verzweiflung gefangene Frau auf einer rosafarbenen Seerose, die Europas Mutter Telephassa darstellen könnte. Die Männerakte auf der anderen Seite wären dann als ihr Vater, der phönizische König Agenor, und ihre drei Brüder, die Europa nach der Entführung verzweifelt suchen, zu deuten.

Die einzigartig bunte und gleichzeitig sehr helle Wirkung des großformatigen Gemäldes erreichte Michaelis, indem er sämtliche Schattenpartien, Spiegelungen und Wasserbewegungen ausschließlich in Farbe unterschiedlicher Abstufungen ausführte und dabei Schwarz komplett vermied. Diese Polychromie, die sich besonders gut am wild tosenden, schäumenden Meer ablesen lässt, unterstreicht die zugrundeliegende Dramatik des Szene. Allein die stolze Haltung der jungen Frau vermag es, die Grausamkeit der mythologischen Erzählung abzumildern.
 
Damit grüßt Sie im Namen des Teams
Tobias Wachter
 

(Text: Christine Unsinn)


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